01.06.2010 – ein verrueckter erster Tag – Guillena und Castilblanco de los Arroyos
Um 7:40 Uhr geht es in Sevilla los. Der heilige Jakob heisst mich wohl herzlich willkommen und bereitet mir den Weg nach Santiago. So kann ich durch das Ostportal der beeindruckenden Kathedrale (die auf den Resten einer riesigen Moschee gebaut und tagsueber nur gegen Eintritt zu besuchen ist) bis zum Westportal, wo die Via de la Plata beginnt, direkt durchgehen. Das ist schon toll!
Unterwegs sehe ich jede Menge Zeichen, die mir den Weg nach Norden weisen: vom Wetterhahn bis zu einem Lichtpfeil, der im Fluss durch Sonnenspiegelung entstanden ist – leider in die falsche Richtung, aber so kleinlich wollen wir nicht sein.
Die ersten 10 Kilometer bis Santiponce
Voellig ausser Atem und fertig habe ich dann erstmal meine Wunden geleckt. Zwei der Stiche waren ohne Folgen, da ich die Stachel wohl schnell genug weg hatte, bevor das Gift injiziert worden ist. Aber der Stich unter dem Auge hat gesessen und so habe ich nach kurzer Ruecksprache mit meiner persoenlichen Nothilfe-Seelsorge-Hausarzt-Hotline bzgl. der medikamentoesen Bekaempfung den Weg nun etwas laediert fortgesetzt.
Leider bin ich so ziemlich platt erst um 2 Uhr in Guillena angekommen. Aber nach gerade mal 23 km kann ich doch nicht einfach aufhoeren, also habe ich gegen den Rat eines Wirts die naechste Etappe ab 17 Uhr dran gehaengt – geht nicht, das wollen wir doch mal sehen…
Nach 4 km habe ich es bereut, aber umdrehen und 8km umsonst laufen, geht auch nicht, also habe ich mich bis Castilblanco durchgekaempft und bin dort auf dem Zahnfleisch nach 42 km angekommen… das war wirklich die mit Abstand bescheuertste Idee (nach Pilgern im Juni durch Suedspanien)!
Mit der Erkenntnis „Spaetnachmittags Pilgern geht einfach nicht“ bin ich tot ins Bett gefallen.
02.06.2010 – 16 km Langeweile – Almadén de la Plata
Heute bin ich schon um 6:55 Uhr los! Eine moerderisch fruehe Zeit. Nach 16 km oeder Pilgerei immer Bergauf an einer asphaltierten Strasse lang, bin ich endlich am Park angekommen, den es noch weitere 14 km zu durchlaufen galt, um die gesamte 31 km-Etappe abzuschliessen.
Leider habe ich meinen Pilgerfuehrer nicht so ernst genommen, was die Wasserversorgung angeht (gluecklicherweise war ich noch geistesgegenwaertig genug morgens was zu essen mitzunehmen). Und so habe ich mir in der Parkverwaltung immerhin einen Liter Wasser (fuer 3 Stunden Hitzemarsch viel zu wenig) erbettelt.
Was soll ich sagen, hier ist eines meiner Notfallreservepaeckchen an Mineralien und Glucose drauf gegangen, um den einen Liter noch Nahrhafter zu machen und ich bin (mal wieder) auf dem Zahnfleisch die letzte extreme Steigung von 300 Metern nach Almadén gekrochen. Keine Sorge, ich habe mir dann auch reuig die Schimpfe von der Nothilfe-Seelsorge-Hausarzt-Hotline angehoert…
03.06.2010 – Hapegrino – El Real de la Jara und Monesterio
5:30 Uhr!!! Darauf moechte ich explizit hinweisen! So frueh bin ich tatsaechlich losgegangen. Es war noch stockdunkel und so war mein einziger Schatten der durch Strassenlaternen und Mond. Leider waren die Strassenlaternen nach dem Ortsende weg und ich habe trotz Mond gar nichts mehr gesehen. Ein Glueck kam in dem Moment ein deutsches Pilgerpaerchen, die eine Stirnlampe dabei hatten und so haben wir uns den Weg im Dunklen stolpernd gesucht.
Als es heller wurde haben wir uns getrennt, da die beiden eher gemuetliche Pilger sind, die sehr, sehr viele Pausen machen 🙂
Der Weg fuehrt durch schoene Waelder aus Stein- und Korkeiche und sehr oft ueber Gehoefte. Meist sind die Wachhunde (die wie die Bekloppten anfangen zu bellen) hinter Zaeunen. Hier allerdings nicht.
Ich bin mit Hunden aufgewachsen und so habe ich vor ihnen keine Angst – aber Respekt. Und wenn ein Rudel Hunde bellend auf mich zu kommt, dann bin ich froh meinen Pilgerstab dabeizuhaben, um mich ggf. zu verteidigen. Na ja, natuerlich weiss ich auch, dass mir der nicht viel helfen wird, aber fuer die Psyche reicht es in dem Moment. Ein Glueck sind die Hunde alle nur Beller und nicht Beisser und lassen die armen Pilger, nachdem sie sich ihren Spass daraus gemacht haben, sie zu erschrecken, unbescholten vorbeiziehen. Einer wollte sogar Streicheleinheiten, als ich aber die grossen spinnenartigen Krabbler aus dem Fell und an anderer Stelle direkt wieder in das Fell habe verschwinden sehen, hab ich mir gedacht: Danke, lass mal gut sein. Die kannst Du selbst behalten 🙂
In El Real bin ich um 9 Uhr weiter, um den Weg ueber den historischen Jakobsweg fortzusetzen. Dieser wird gerade zu einer Art Strasse ausgebaut. Respekt, die Jungs mit ihren LKWs mit Sattelaufleger mussten so ca. 2-3 Kilometer rueckwaerts (!) bis zur Baustelle fahren. Den Respekt habe ich allerdings spaeter zurueck genommen, als die 8 Arschkrampen mit Volldampf an mir vorbei durch den Staub gebrettert sind und mich jedes mal eingestaubt haben. 3 mal sind die dummen Saecke an mir vorbei, bis ich endlich von der langen Piste runter war.
Bei einer Rast bin ich dann von einem Spanier angesprochen worden, ob ich denn ein Pilger sei. Das ist hier tatsaechlich (im Gegensatz zum Camino Frances) doch noch nichts selbstverstaendliches. Er hat mir stolz von seiner Pilgerreise erzaehlt und ich vermute mal, dass sich seine drei Mitfahrer danach auf der Weiterfahrt die ganzen Geschichten anhoeren „durften“ 🙂
Einer Echse ging es dagegen nicht so gut, denn die ist in die Bar gehuscht. Die panische Wirtin hat mich gebeten, ob ich sie vielleicht verscheuchen koennte (sie dachte erst, die gehoert mir). Als ich sie mit einem Besen rausbefoerdert habe, ist sie leider der Hofkatze vors Maul gerannt… das wird mich noch eine teure Therapie kosten, um von den Schuldkomplexen wieder loszukommen.
Nach weiteren 2 Stunden in der gnadenlosen Nachmittagssonne bin ich wieder einmal sehr laediert an meinem Ziel angekommen. Die Etappe war trotz fruehem losziehen einfach wieder zu lang (37 km) und zu heiss.
Uebrigens gibt es jetzt eine Unterscheidung der Pilger (so zumindest mein Pilgerfuehrer): Neben den Buspilgern und Touristenpilgern gibt es die Hapegrinos, also eine Kombination aus „Hape“ und „Pelegrino“. Damit werden die „Weichei-Pilger“ tituliert, die wie ich in Pensionen schlafen und nicht wie die „echten Pilger“ authentisch in Schlafsaelen schlafen… Ob die „echten Pilger“ dann auch auf moderne Wanderstiefel und technologisch hochwertige Rucksaecke verzichten und in Sack und Asche gehuellt, Barfuss und selbstgeiselnd ueber den Camino wandern, konnte ich nicht herausfinden…
Ich bin jedenfalls gerne ein „Hapegrino“!
04.06.2010 – Das spanische Rom – Fuente de Cantos, Zafra und Mérida
Jetzt laeuft die Lutzi! Bis jetzt bin ich 110 Kilometer bis gestern Abend in nur 3 Wandertagen gekommen. Und heute nochmal 116 Kilometer drauf.
Nein, das ist kein Schreibfehler. Heute morgen bin ich (wieder!) um 5:30 Uhr los gelaufen und dieses mal dank neuer LED-Stirnlampe (3,10 € fuer entsprechende chinesische Qualitaet) sogar gut los gekommen. Der Sonnenaufgang war herrlich und die Strecke durch die Extremadura wunderbar.
Der Plan fuer heute: 21 km bis Fuente de Cantos und dann nochmal 6,5 km Calzadilla de los Barros. Damit waere ich entspannt um 11 Uhr fertig. Bei Kilometer 19 hat allerdings mein Koerper gestreikt und mir klar gemacht: wenn er nicht mehr will, dann hilft mir auch die cleverste Planung nichts. Eine Kombination aus naechtlicher Klimaanlage (sonst ist es einfach zu warm), viel zu wenig Schlaf (ich schlafe momentan sehr schlecht nachts) und Ueberanstrengung auf ambitioniert langen Strecken war wohl zu viel… Da ging nichts mehr – ich bin kaum ins naechste Dorf gekommen.
Den Warnschuss habe ich allerdings ernst genommen und da ich sowieso irgendwann einen Teil aus zeitlichen Gruenden abkuerzen muss, habe ich das jetzt getan und bin mit dem Bus nach Mérida gefahren.
Von der Fahrt habe ich nicht viel mitbekommen, denn ich habe fast durchweg geschlafen. In Mérida bin ich auch in meinem Bett direkt eingeschlafen und sehr geraedert wieder aufgewacht. So habe ich leider von Spaniens Rom, wie die damalige Hauptstadt der bedeutensten roemischen Provinz in Spanien heute auch genannt wird, nicht viel mitbekommen. Aber hier gibt es sagenhafte Ausgrabungen von roemischen Tempeln, einem schoenen Theater und einer Arena.
05.06.2010 – Aljucén und Cáceres
Ueberteuerte Uebernachtung in einem zentralen Hotel: 42,80 €
Lumpiges Abendessen mit Getraenk: 11,40 €
In der Dunkelheit der Morgendaemmerung in Hundescheisse treten: unbezahlbar
Fuer alles andere gibt es… und so weiter
So kann ein Morgen beginnen. Dieses mal bin ich „erst“ um 6:00 Uhr losgezogen. Beim Verlassen von Mérida habe ich die Ueberreste des beeindruckenden roemischen Aquaedukts bestaunt und bin am entfernten roemischen Stausee (beides UNESCO-Kulturerben) entlang gewandert. Im 16 km entfernten Aljucén habe ich dann nach 4 1/2 Stunden wieder aufgehoert, um meinem Koerper die notwendige Schonung zu ermoeglichen.
Hier habe ich Guenter aus Oesterreich getroffen, der seit ca. einer Stunde vergeblich auf den Bus gewartet hat, denn dieser war nicht wie angekuendigt gekommen. Wir hatten uns witzigerweise am ersten Tag in Santiponce
Und just, als ich zur Haltestelle kam, ist auch der einzige Vormittagsbus gekommen (es faehrt dann nur noch nachmittags um 5 einer, denn es ist ja Samstag heute), was ich als positives Zeichen gewertet habe und ebenfalls nach Cácares gefahren bin.
In Cáraces haben wir eine Pension fuer 15 € direkt an der Plaza de Mayor und so habe ich hier nun heute die Kultur nachgeholt, fuer die es in Mérida nicht gereicht hat.
Viele Gruesse aus Suedspanien
shp-vdlp
Nachtrag:
„Der Weg ist das Ziel„… ja ja, hoert sich abgedroschen an. Aber Yvi hat ja Recht, ich muss mich wieder auf mein „eigentliches“ Ziel besinnen und nicht irgendwelchen Etappen nachjagen. So werde ich es nun entspannter angehen lassen – mehr davon im naechsten Etappenbericht