Habe nun heute meinen langersehnten Pausentag eingelegt. Meine Fuesse haben es verdient. War ja klar, dass unter dem Tape an meinem linken grossen Zehen, der schon seit langem schmerzt, eine fette Blase war. Hatte das Tape aber sicherheitshalber nicht weggemacht – never touch a running system 🙂
Gestern bin ich jedenfalls sehr schlecht in die Puschen gekommen. Das koennte an der rustikalen aber an sich doch netten Unterkunft in Ledigos gelegen haben oder an der Flasche Rosé-Wein, die ich mir waehrend dem packenden Fussballspiel Deutschland – Tuerkei reingezogen habe. Ich bin jedenfalls sehr langsam, dafuer aber auch entspannt in Richtung Sahagun gewandert, wo ich eine Nacht bleiben und dann am naechsten Tag mit dem Zug nach Leon fahren wollte, um (wie schon angekuendigt) meinen Zeitplan zu entspannen bzw. zu „entschleunigen“.
Durch das langsame Gehen (und wahrscheinlich den dicken Kopf) hatte ich noch mehr Gelegenheit auf meine Umgebung zu achten. Ich habe sozusagen dem Wind „zugehoert“ und dabei mal ganz bewusst auf das Rascheln der Blaetter und das Wiegen der Kornfelder geachtet, auf dem der Wind bei jeder Briese wellenartige Muster hinterlaesst. Wann hat man schon mal dazu die Gelegenheit und Muse? Das war wirklich sehr entspannend. Nach einiger Zeit (nicht im negativen Sinne) sinnlosen Sinierens habe ich fuer mich beschlossen, das es nun genug sei mit der Meseta und ich mich auf Leon, den Tag Pause und die weitere Pilgerreise freue – was mich enorm motiviert hat!
Bei einer Pause in einer Pilgerherberge auf einen Kaffee unterwegs bin ich auch dem Koreaner Dan (der in Spanien eine zeitlang studiert hat) und dem Briten James (der auf Job-Sinn-Suche ist) begegnet, die ich bereits seit ein paar Tagen kenne. Diese sassen mit einem spanischen Radpilger zusammen, der mich doch dann glatt gefragt hat, wie lange ich denn schon pilgern wuerde. Meine Antwort, dass ich nun schon 17 Tage seit Frankreich unterwegs sei, hat er misstrauisch in Frage gestellt, denn ich sei ja noch so blass… Da hat er zweifelsohne recht, auch wenn ich tatsaechlich schon mehr als 430 Kilometer unterwegs bin. Ich sehe immer noch aus wie ein Weissbrot! Das kann doch wohl nicht sein, dass ich kaesig in Santiago ankomm! Ich brauche dringend Selbstbraeuner, damit ich nachts die Farbe nachholen kann, die ich tagsueber offensichtlich nicht bekomme ;-)Â Fleckigen Sonnenbrand an den Waden habe ich aber schon mal…
In Sahagun bin ich dann ueberraschenderweise Livia und ihrer Mutter ueber den Weg gelaufen, die nun aus Zeitgruenden ihre Pilgerreise abbrechen muessen. Livias Mutter ist auch ziemlich laediert (nicht nur Knochen und Muskeln, sondern auch darmmaessig), daher passt das wohl auch so. Das ich die beiden nochmal treffe, hatte ich nicht erwartet, denn sie stehen morgens schon immer um 5 Uhr auf und sind dann bereits Stunden unterwegs, wenn ich mich mal auf den Camino begebe. Das habe ich gleich als hoeheres Zeichen gewertet und da Sahagun weder besonders schoen noch viel zu besichtigen hat, bin ich auch bereits heute nach Leon mit dem Zug gefahren. Ich muss allerdings sagen, dass – so richtig die Entscheidung ist meinen Weg zu entschleunigen und dafuer Etappen sausen zu lassen – ich mich auf der Fahrt doch ein wenig reumuetig gefuehlt habe so viel Strecke zu ueberspringen. Evtl. waere das kommende Stueck, das sich ca. 40 Kilometer durch die sonnig-heisse Meseta zieht, zumindest meditativ interessant gewesen… Aber wahrscheinlich haette ich mich zwei Tage lang fluchend durch die Duerre in der Hitze geschleppt und es bereut, nicht doch den Zug genommen zu haben 🙂 Das passt also schon!
In Leon bin ich zum Touristenbuero, das natuerlich mal wieder nicht offen hatte, sondern erst um 17 Uhr oeffnet (das werde ich wohl auch noch lernen). Bei einem Kaffee (ja, ich weiss, ich trinke Unmengen davon, aber das ist nunmal als Entwickler mein Lebenselixier) habe ich dann durch Zufall in meinem Reisefuehrer gelesen, dass das Pantheon (die Ueberreste des Koenigspalasts in Leon) und das angeschlossene Museum immer Donnerstag Nachmittags anstelle der 4 € Eintritt kostenlos ist. Noch ein Zeichen! Also ab ins Museum, bis die Touri-Info oeffnet.
Der Besuch hat sich gelohnt, denn hier wird, neben diversen 1000 – 900 Jahre alten Artefakten wie Schmuckdosen, Reliquienschreinen und Schmuck, auch die damalige koenigliche Bibliothek gezeigt, die Bibeln und andere Buecher beinhaltet, die z.T. von 1085 stammen. Unter Glas kann man die Details der Schreibarbeiten bewundern: jede einzelne Linie, die vorgezeichneten Markierungen, das Zittern beim Schreiben. Ein wahrer Traum! Ich habe noch nie eine Bibliothek mit solch vielen alten Werken gesehen! Sensationell (Felix, Du kaemst da nicht mehr raus!)!!! Leider konnte ich die angrenzende Basilika nicht besuchen, da diese gerade restauriert wird… nein, „restauriert“ ist das falsche Wort: eher „renoviert“, denn ich habe einen Bauarbeiter auf einem Geruest an einer Saeule stehen gesehen - einen breiten Pinsel in der einen und einen Farbeeimer in der anderen Hand, Kippe im Mund – und froehlich das Ding wie eine Garage anmalend… irgendwie hatte ich andere Vorstellungen davon, wie ein antikes Kirchengebaeude wiederhergestellt wird.
Nun, inzwischen hatte auch die Tour-Info offen und ich habe ein Einzelzimmer mit Bad mitten in Leon fuer 24 € pro Nacht ergattert. Das ist mal ein echter Gluecksgriff. Der (wahrscheinlich bereits pensionierte) Portier ist ein aelterer Herr, der bei allen sprachlichen Problemen sehr ruehrig durch Zeichensprache oder auch mal einem Anruf weiterhilft. Ein echter Geheimtip!
Im Touristeninformationsbuero standen ploetzlich auch zwei deutsche Studenten, denen ich bereits mehrmals auf dem Weg (zum ersten mal in Roncesvalles) begegnet bin und die anfangs mit Zelt und ca. 15-18 Kilogramm Gepaeck losgezogen sind. Die Ueberraschung war auf beiden Seiten gross, denn waehrend ich mit den Zug abgekuerzt habe, sind die beiden in den letzten Tagen 40 bis 50 Kilometer am Tag gelaufen. Donnerwetter, die beiden sind wirklich der Hammer! Fuer mich waere die Reise spaetestens hier dann zu Ende!
Nun, durch den abgekuerzten Tag in Sahagun habe ich jetzt natuerlich einen Tag mehr eingespart, als ich rechnerisch braeuchte, um in Santiago de Compostela anzukommen, aber wer weiss, wofuer ich den Tag noch brauche!
Meine Erkenntnis des Tages: Folge Deinem Bauchgefuehl!
Viele Gruesse
shp-jakobsweg
[googleMap name=“Leon“ width=“500″ height=“300″ directions_to=“false“]Leon, Spain[/googleMap]