Donnerwetter, jetzt sind es tatsaechlich knapp 420 Kilometer und ich stehe kurz vor Carrión de las Condes. Aber so richtig euphorisch bin ich nicht. Weiss nicht warum, vielleicht weil ich schon wieder 25 Kilometer heute unterwegs bin – obwohl es bewoelkt und kaum sonnig ist, was bei den Temperaturen hier ein echter Segen ist! Stolz bin ich natuerlich schon und heute morgen war ich doch ueberrascht, wie viel Strecke ich schon hinter mich gebracht und was ich dabei alles erlebt habe. Vor ein paar Wochen war ich mir alles andere als sicher, dass ich es ueberhaupt so weit schaffen wuerde.
Nun stehe ich also hier und mache wenigstens ein Erinnerungsphoto auf der „Pilgerautobahn“. So wird der Camino ab Fromista parallel zur Landstrasse genannt, der extra neu angelegt wurde, da der urspruengliche Pilgerweg inzwischen eben zu jener Strasse ausgebaut worden und es im Zuge der Neuaufnahme des Fusspilgerns zu vielen Unfaellen in der Vergangenheit gekommen ist. Dabei sind im Abstand von ca. 50-100 Metern immer 4 Betonpylone mit Jakobsmuscheln zu einem Quadrat aufgestellt, damit auch der bescheuertste Pilger den Weg nicht verpasst. Leider haben das die spanischen Bauarbeiter direkt nach Fromista nicht beruecksichtigt, die dort neue Strassen und Bruecken bauen und dabei die Verkehrsfuehrung zwar fuer Fahrzeuge aber nicht fuer Pilger geregelt haben. Im Umkreis von ca. 300 Metern ist nicht ein einziger Wegweiser, Pfeil oder Jakobsmuschel zu entdecken. So bin ich ueber eine gigantische Baustelle zwischen Baggern und LKWs herumgeirrt, bis zwei Spanierinnen, die den Weg ebenfalls gesucht habe, von einer Erhoehung aus die grobe Richtung herausgefunden haben und wir so auf die „Pilgerautobahn“ gekommen sind.
Heute morgen habe ich mich kurz nach 7 Uhr auf den Weg gemacht, da ich in Fromista erstmal Geld holen musste, denn unterwegs gab es mal wieder keinen Geldautomaten, was sich mein Reisefuehrer diesmal verkniffen hat darauf hinzuweisen, was er sonst nicht muede wird zu tun. Und da der Herbergsvater auch nur Cash sehen wollte, musste ich mein letztes Geld fuer Zimmer und Abendessen zusammenkratzen. Na ja, so konnte ich auch mal Bescheidenheit an den Tag, bzw. den Abend legen.
Zu meinem Glueck hat es unmittelbar, nachdem ich mit Waschen fertig war, zu regnen begonnen und so konnten meine Wandersocken, fuer die ich unendlich (wie im Uebrigen auch fuer die restliche sehr gute Ausruestung, ohne die ich keinen Kilometer mehr kommen wuerde) dankbar bin, wieder einmal nicht richtig trocknen. Die brauchen ewig, bis sie trocken sind. Das ist der einzige Nachteil daran, aber sie sollen ja auch tagsueber kuehl wirken und nicht sofort alle Temperaturen nach innen transportieren. So musste ich also wieder einmal mit klammen Socken los marschieren, was nicht sehr Blasenunfoerderlich ist. Der morgendliche Spaziergang am Rande eines Kanals – eine damalige bauwerkliche Meisterleistung, wie mich in dem Fall mein kulturell wertvoller Reisefuehrer hingewiesen hat – war dafuer wieder herrlich.
In Fromista habe ich dann erstmal ausgiebig -Â nun finanziell wieder ausgestattet – gefruehstueckt und dabei nebenher meine Kleidung nebst Socken in der Sonne trocknen lassen. So gut praepariert konnte ich den weiteren Fussmarsch dann getrost antreten und mich eben oben genannter Baustellenfalle stellen.
Spaeter unterwegs habe ich eine willkommene Alternativroute abseits der Pilgerautobahn und damit auch Landstrasse genommen und noch ein wunderbares Stueck Natur und Ruhe genossen. Interessanterweise habe ich immer wieder Birken- und Pappelhaine unterwegs gesehen, die kuenstlich angelegt wurden. Dabei sind alle Baumstaemme mit exakt dem gleichen Abstand in langen Reihen gepflanzt. Man kommt sich wie in einem Garten vor oder zum Teil in einer Kathedrale, da die unteren Aeste mit den Staemmen eine Art Torbogen bilden, durch die das Licht der Sonne scheint. Sieht sehr surreal aus!
In einem Cafe lief dann noch gregoreanische Musik, Enya und unter anderem eines meiner Lieblingsstuecke aus dem Gladiator-Soundtrack („Now we are free“ – ich weiss leider nicht, von wem das Original ist) – ich haette stundenlang so da sitzen koennen, einen Kaffee nach dem anderen reinschuetten, den Voegeln zuschauen (die vergeblich gegen den Krach angezwitschert haben) und das Leben geniesen koennen… Als ich mich dann irgendwann geloest habe und weitergelaufen bin, habe ich zum ersten mal beim Gehen meinen MP3-Player angeschaltet und klassische Musik, sowie eben auch „Now we are free“ gehoert. Sensationell! Ob das spirituell wertvoll war? Sicher nicht! Ob es mir was ausmacht? Auf keinen Fall! Ich mache, zu was ich Lust habe. Es interessiert mich nicht die Bohne, was andere davon halten! In dem Moment hat es gepasst und einen riesigen Spass gemacht, allerdings mit der kleinen Einschraenkung, dass ich mich bzw. meine Gelenke fast ueberanstrengt haette, da ich dann doch sehr beschwingt und schnell unterwegs war… das musste ich dann spaeter in Carrión de las Condes in Form von Schmerzen beim Gehen buessen… tja, so ist das halt, kleine Suenden werden sofort bestraft. Und ich wuerde es wieder tun 😀
Meine Erkenntnis des Tages: Ich tue, was ich will!
Viele Gruesse
shp-jakobsweg
[googleMap name=“Carrión de las Condes“ width=“500″ height=“300″ directions_to=“false“]Carrion de las Condes, Spain[/googleMap]